Vom Aktivismus zur NGO? Anmerkungen zu “Life in Limbo” in ak 546

[Veroeffentlicht im ak – zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 548 / 19.3.2010]

Die bibelfesten GlobalisierungskritikerInnen von Turbulence sind ungeduldig und suchen einen Schleichweg ins Paradies. So könnte man ihren in ak 546 unter der Überschrift “Life in Limbo” veröffentlichten Beitrag zusammenfassen. Tatsächlich beschreiben sie präzise die Ernüchterungen des aktionsorientierten Teils der GlobalisierungskritikerInnen, zu denen Turbulence gehörte. Die Hoffnungen, die in manchen Kreisen nach Seattle und Genua in die “Bewegung der Bewegungen” gesetzt wurden, sind zerstoben.

In Deutschland konnte durch die Mobilisierung nach Heiligendamm 2007, an der Turbulence-AktivistInnen beteiligt waren, die Krise der Bewegung in all ihren Fraktionen länger ignoriert werden. In Italien, das zu Beginn des Millenniums das große Vorbild der GlobalisierungskritikerInnen war, hatte sich der Zerfall schon lange bemerkbar gebracht. Von den bewegungsorientierten Disobbedienti ist heute genau so wenig zu hören und zu sehen wie von der ehemaligen Parlamentspartei Rifondazione Comunista.

Dabei wäre es zu einfach, dem Berlusconi-Regime die Verantwortung für den Niedergang zu geben. Umgekehrt haben Berlusconis Wiederwahl und der Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung die gleichen Ursachen: den Zerfall politischer Milieus und die damit verbundene weitgehende Individualisierung der Gesellschaft. Dieser Prozess vollzieht sich in den verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Intensität und ist in der Regel mit dem Machtverlust der Gewerkschaften und der organisierten Lohnabhängigen verbunden.

Die globalisierungskritische Bewegung wollte mit ihren Gipfelprotesten diesen Verlust der Arbeiterautonomie kompensieren. Einige Jahre schien das auch zu klappen. Doch tatsächlich war es eine Scheinlösung. Die Gipfelproteste wurden von einer kleinen Schicht, meist junger, sehr flexibler Menschen getragen, die sich für einige Jahre als VollzeitaktivistInnen betätigten und von Event zu Event reisten. Diese Art des Aktivismus war nur für eine kurze Zeit durchzuhalten. So mussten die Gipfelproteste a la Seattle und Genua bald an Grenzen stoßen. Die staatliche Repression beschleunigte diesen Prozess. Das wurde von großen Teilen der Bewegung auch erkannt. Schließlich begleitete die globalisierungskritische Bewegung ständig eine kritische Debatte um das Event-Hopping.

Das ist der Hintergrund auch des Turbulence-Beitrags, dessen nüchterne Auseinandersetzung mit manchen Bewegungsmythen ebenso zu begrüßen ist wie die kritische Auseinandersetzung mit dem Antiinstitutionalismus der Bewegung der Bewegungen. Reformistische Positionen gibt es sowohl in den Bewegungen wie auf institutioneller Ebene. Doch diese falsche Gegenüberstellung lösen die VerfasserInnen dadurch auf, dass sie dafür eintreten, künftig das zu machen, was ein Großteil der NGOs schon seit langem als ihre Aufgabe ansieht: eine kritische Begleitung der Politik. Diese Antwort auf die Krise der Bewegung haben in den letzten Jahren individuell schon viele AktivistInnen gegeben, indem sie eben ihre früheren Aktivitäten zum Beruf machen.

In der entscheidenden Frage der Organisierung an der Basis gehen die AutorInnen nicht kritisch genug mit den Mythen der GlobalisierungskritikerInnen ins Gericht. Widerstand am Arbeitsplatz, sei es in der Fabrik oder im prekären Bereich, kommt bei ihnen ebenso wenig vor wie Erwerbslosenproteste oder andere Organisierungsprozesse, die auf die Gesellschaft Auswirkungen haben und die institutionelle Politik durch Druck beeinflussen. Wenn die AutorInnen auf die gesellschaftlichen Prozesse in Bolivien und Ecuador verweisen und dabei das Augenmerk auf die Entstehung einer neuen Verfassung richten, erwähnen sie nicht, dass solche Entwicklungen nur möglich waren, weil es in diesen Ländern in den vergangenen Jahren erfolgreiche Organisierungsprozesse von ArbeiterInnen, Frauen und Indigenen gab. In den europäischen Ländern stellt sich heute in erster Linie die Frage, wie solche Organisierungsprozesse zustande kommen können. Wenn diese Frage ignoriert wird, bleibt tatsächlich nur die alternative Politikberatung, und aus den frechen AktivistInnen werden brave NGOs.

This article was originally published in ak – zeitung für linke debatte und praxis (no. 548) on March 19, 2010. The Turbulence Life in Limbo? article discussed in the piece can be found here (and the edited German translation published in analyse & kritik in January 2010 here). The same author also published a commentary on Life in Limbo? in the German daily, Neues Deutschland on March 17, 2010, which can be read here.

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