Alles auf Anfang?

Block G8 und die Proteste von Heiligendamm als Neubeginn im Zyklus der globalisierungskritischen Kämpfe

Schon im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 übte die Linke sowohl in Deutschland als auch international Kritik an der Mobilisierung nach Heiligendamm allgemein und der Kampagne Block G8 im Speziellen. Die Gipfelproteste seien zu einem Ritual geworden, zur bloßen Wiederholung von Kämpfen aus einer anderen Ära – aus dem Zyklus der Kämpfe, der mit den Protesten gegen die Welthandelsorganisation (WTO) 1999 in Seattle begann und dessen Grenzen beim G8-Gipfel 2001 in Genua bereits offensichtlich geworden waren. Diese Skepsis war in vielerlei Hinsicht angebracht.

Führen wir uns drei Beispiele vor Augen: Seattle wurde zunächst als unglaublicher Erfolg gewertet. 10 000 Protestierende verhinderten die Eröffnungsfeier des Gipfels und die Aktionen auf der Straße stärkten die Verhandlungsmacht einiger Delegierten aus dem globalen Süden. Dies sorgte dafür, dass es der WTO  nicht gelang, eine Vereinbarung für die nächste Runde der Handelsgespräche zu treffen. Es war der erste bemerkenswerte Riss im neoliberalen Projekt und die Geburt einer neuen globalen Bewegung. Trotz dieses kollektiven Affekt des Sieges, den die Proteste produzierten, stellte es sich aber als ein ungeheures Problem dar, diese Erfolge in eine für einen gesellschaftlichen Systemwandel notwendige Alltagspraxis zu übersetzen.

Zwei Jahre später gingen Hunderttausende auf die Straßen, erst gegen den EU-Gipfel in Göteborg, dann in Genua gegen die G8. Massenhafte Aktionen des Ungehorsams zeigten, dass viele Menschen in Europa und darüber hinaus die Welt ablehnten, für welche die beiden Gipfeltreffen standen. Aber der Preis, den die Protestierenden für ihren Einstieg in die Logik eines (beinahe) symmetrischen Konflikts zahlen mussten war hoch: In Göteborg wurden drei Demonstranten von der Polizei angeschossen (einer von ihnen lebensbedrohlich). In Genua wurde der 23jährige Carlo Guiliani erschossen, Hunderte wurden geschlagen und misshandelt.

Im Jahr 2005 fand der G8-Gipfel im schottischen Gleneagles statt und die globalen Bewegungen stellten fest, dass sie in der Lage waren die globale Agenda neu zu besetzen, zumindest diskursiv. Es wurde ihnen allerdings auch das Ausmaß vor Augen geführt, dass die Vereinnahmung ihrer Sprache und Wünsche angenommen hatte. Die globalisierungskritische Bewegung hatte eine Situation geschaffen, in der die G8-Staaten gezwungen waren „ihre“ Themen zu behandeln, zum Beispiel Armut und Umwelt. Teile der Make Poverty History-Kampagne (die größtenteils aus Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen bestand), die OrganisatorInnen der Live8 Riesenkonzerte und Teile der britischen Regierung kamen zusammen, um die politischen Vorschläge des Ökonomen Jeffrey Sachs zu unterstützen.  Im Wesentlichen bedeuteten diese eine kurz- bis mittelfristige Investition in Armutsbekämpfung mit dem Ziel bis 2025 einer Milliarde Menschen aus der Armut – genau genommen auf den Arbeitsmarkt – zu helfen, um eine weltweite Wirtschaftskrise zu verhindern und Wachstum zu garantieren. Solche Forderungen waren natürlich meilenweit von der eigentlich antikapitalistischen Parole der Bewegung, Eine andere Welt ist möglich!, entfernt.

Grenzen, Rituale, Wiederholungen und Differenz

Wenn also der globalisierungskritischen Bewegung schon seit Jahren die Grenzen ihres Handels klar waren, warum haben sich dann so viele von uns dennoch entschieden an den Protesten teilzunehmen, womit oft verbunden war, uns selbst in Gefahr zu begeben? War es also möglich die gesetzten Grenzen zu überwinden? Und was sind die Schlussfolgerungen, welche die globalisierungskritische Bewegung aus den Erfahrungen an der Ostsee ziehen kann?

Erstens: die bloße Feststellung, dass etwas ritualisiert ist, ist nicht notwendigerweise eine Grund, sofort damit aufzuhören. Selbstverständlich gehen mit politischen Ritualen Probleme einher, da sie vorhersagbar werden und somit einfach zu kontrollieren. Außerdem ahmen sie oft nur frühere Ereignisse nach statt anhand einer Analyse der aktuellen politischen Situation bestimmt zu werden. Darüber hinaus neigen sie dazu, althergebrachte politische Identitäten (bspw. linksradikaleR AktivistIn) zu reproduzieren anstatt strategisch zu intervenieren. Aber Rituale entstehen auch nicht aus dem Nichts. Sie sind oft das Produkt eines realen oder wahrgenommenen Erfolgs und meistens werden die Grenzen dieser Erfolge durch ihre ritualisierte Wiederholung überhaupt erst sichtbar. Außerdem kann es nicht der Weisheit letzter Schluss sein, eine Aktionsform sofort abzulehnen, sobald das Potential dieser als nicht unendlich erkannt wird, und somit ständig auf der Suche nach neuen Aktionsformen zu sein, bis auch diese an ihre Grenzen stoßen.

Zweitens muss die Wiederholung eines Bruchs mit der herrschenden Ordnung nicht immer ein Fall von „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“ sein. Die WTO in Seattle zu blockieren war eine konkrete Aktion, deren Ziel die Delegitimierung dieser Institution war. Körperschaften wie die WTO und auch die G8 sind aber in der Lage, sich immer wieder neu zu legitimieren, was wiederum nach einer Wiederholung der Delegitimierung verlangt. Anders gesagt: Legitimität ist immer umkämpft.

Drittens ist vieles, was als bloße Wiederholung erscheint, in Wirklichkeit gar keine Wiederholung, zumindest nicht in dem Sinne, dass immer wieder genau das Gleiche geschieht. Es war selbst für diejenigen klar, die Seattle nach Heiligendamm bringen wollten, dass dies nicht in einem wörtlichen Sinn zu realisieren sein würde. Denn auch bei einem teilweisen (oder sogar vollständigen) Versuch, Seattle zu wiederholen, würde zwangsläufig etwas Neues entstehen: neue Netzwerke, Verbindungen und Möglichkeiten.

Ein Neuanfang?

Trotz des teilweisen Versagens der Heiligendamm-Bewegung mit der Relegitimierungs-Strategie der G8 umzugehen (z. B. mit deren Selbstdarstellung als sozialer Akteur, der mit dem Problem des Klimawandels umgehen kann), wurde die Mobilisierung von vielen als Erfolg gelobt. Neue Netzwerke wurden geschaffen, ein diskursiver Raum geöffnet und (zumindest teilweise) auch Gegenmacht aufgebaut. Trotz vielerlei Kritiken wurde – sowohl in der Linken in der BRD als auch international – weithin anerkannt, dass das Block G8-Bündnis zwei wichtige Beiträge geleistet hat. Zum einen spielte Block G8 eine wichtige Rolle in der Mobilisierung von Tausenden Menschen, die den Gipfel blockieren wollten. Durch ein klares Aktionskonzept wurde ein Raum hergestellt, der im Hinblick auf die Aktionsformen für die TeilnehmerInnen berechenbar war, ohne damit andere Aktionsformen an anderen Orten zu verhindern oder gar davon abzuraten zu wollen. Die Blockaden, die von Block G8 und anderen organisiert wurden, waren der Ort, an dem die Infragestellung der Legitimität des Gipfels am stärksten sichtbar wurde.

Zum anderen war die vielleicht wichtigste „Wiederholung“ in Heiligendamm die Rückkehr zum Prozess der „gegenseitigen Befruchtung“, der so charakteristisch für die erste Phase der globalisierungskritischen Proteste war. Während in Seattle eine in höchstem Maße heterogene Konstellation von AktivistInnen (Nonnen, SchwuleLesbenQueers, Umweltbewegte und Gewerkschafter) in der Lage war, gemeinsame Aktionen durchzuführen, stellte sich die Situation bei den Protesten gegen das IWF-Treffen 2000 in Prag und auch bei den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Gleneagles anders dar, da die verschiedenen politischen Strömungen und die Vorlieben für verschiedene Aktionsformen zum gegenseitigen Scheidepunkt wurden. JedeR blieb so in der eigenen, gewohnten Umgebung. In Heiligendamm dagegen herrschte eine erstaunliche Offenheit gegenüber Kontaminationsprozessen und Mutationen, gegenüber der Zusammenarbeit verschiedener AkteurInnen, gegenüber der Suche nach Gemeinsamkeiten trotz Differenzen und schließlich gegenüber der Transformation all dessen in eine gemeinsame politische Praxis. Nirgends war dies stärker wahrnehmbar als innerhalb des Block G8-Bündnisses und auf den Straßen rund um Heiligendamm.

Zwei Dinge machten Block G8 und die Mobilisierung nach Heiligendamm zu einem Erfolg: Auf der einen Seite die politische (Vor-)Arbeit auf dem Weg zum Gipfel, auf der anderen Seite die erneuerte Offenheit gegenüber dem Zurücklassen alter Identitäten und tradierter Herangehensweisen. Sie schufen die Grundlage für die Resonanz, die Block G8 bei vielen, die Kurs auf Heiligendamm nahmen, fand und sind einen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Ben Trott

English version here.

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