Wo sind die Grenzen? Kapital, Krise, Klimawandel

Es ist kein Zufall, dass wir von den G8 direkt zum Klimawandel übergehen, der mittlerweile zu einem zentralen Gegenstand öffentlicher Diskussionen geworden ist. Sozialen Bewegungen eröffnet dies die Möglichkeit der Entstehung eines neuen politischen Handlungsschwerpunkts. Ereignisse wie das Climate Action Camp in England, das massiv Aufmerksamkeit erregte und 2008 in Deutschland, den USA, Schweden und anderswo wiederholt werden soll, belegen dies auf eindrucksvolle Weise. Für Staat und Kapital wird der Klimawandel zu einem Schlüsselelement im Management des globalen Systems, sowohl auf der Ebene konkreter Entscheidungen, als auch der Ebene politischer Legitimation (von der Schaffung neuer Märkte ganz zu schweigen). Im Raum zwischen Bewegungen und Staaten verdeutlicht er die Unklarheit und Komplexität der Frage von Sieg und Niederlage. Insofern der Umweltaktivismus der vergangenen Jahre darauf abzielte, Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels zu schaffen, muss 2007 als das Jahr angesehen werden, in dem ‚wir gewannen’. Alle, einschließlich der PolitikerInnen und großen Unternehmen, reden davon.

Aber gerade dieser Sieg kann sich am Ende als Niederlage herausstellen. Die weltweite Sorge über den Klimawandel muss sich anders ausdrücken als bisher, wenn sie tatsächlich den Lauf der Dinge beeinflussen, d.h. Kohlenstoffemissionen schnell und radikal reduzieren will. Einerseits heißt das, einen neuen Diskurs zu entwickeln, der verhindert, dass der Klimawandel einfach nur zu einer neuen Profitquelle für das Kapital gemacht wird. Allzu leicht kann es sonst passieren, dass das Thema Klimawandel dazu benutzt wird, den Beherrschten einmal mehr Verzicht zu predigen sowie verschärfte ‚Sicherheitsmaßnahmen’ und, im Kontext steigender geopolitischer Spannungen, neue Grenzkontrollen zu legitimieren. Wenn es aber um mehr gehen soll als nur eine Auseinandersetzung um die ‚öffentliche Meinung’ – denn in solchen Auseinandersetzungen sind wir immer in der Defensive – dann muss der Kampf auch auf dem Feld der Produktion und der gesellschaftlichen Reproduktion geführt werden.

Der Klimawandel wird gemeinhin als ökologisch-technisches Problem betrachtet, das ökologisch-technischer Lösungen bedarf. Problem: es wird zu viel Kohlenstoffdioxid ausgestoßen; Lösung: die Verminderung dieser Emissionen auf ein ‚akzeptables’ Niveau mittels technologischer Innovation, neuer Gesetze und dadurch, dass wir alle ‚unseren Beitrag leisten’. Dies birgt aber zwei Probleme. Erstens sind wir in fast allem, was wir tun, auf fossile Brennstoffe angewiesen und erzeugen daher CO2-Emissionen, egal ob wir zur Arbeit fahren, oder dort anrufen um krank zu feiern und DVDs zu schauen. Zweitens sind die notwendigen Verminderungen derart weitreichend (zwischen 60 und 90% bis 2050), dass sie einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel nötig machen, welcher kaum dadurch zustande kommen wird, dass sich die Umweltministerien der Welt zusammensetzen.

Der Klimawandel kann aber auch anders verstanden werden, und zwar indem wir die Welt als einen Stoffwechselkreislauf betrachten. Der Stoffwechsel der Erde, also ihre Fähigkeit Kohlenstoff zu verarbeiten, ist langsamer als der ‚Stoffwechsel’ des zeitgenössischen Kapitalismus. Die Ökonomie befindet sich auf Kollisionskurs mit der Biosphäre. Klimawandel bedeutet hier also eine Grenze der Ausdehnung des Kapitals und impliziert daher eine mögliche Akkumulationskrise.

Im Kapitalismus sind Grenzen aber etwas Merkwürdiges. Das Kapital hat eine interne Expansionsdynamik. Damit diese befriedigt werden kann, müssen Grenzen ignoriert, untergraben, umgangen oder sonstwie überwunden werden. Das Geheimnis der Langlebigkeit des Kapitals liegt gerade in seiner Fähigkeit, Grenzen und die Krisen, die sie produzieren, als Anfangspunkt einer neuen Runde der Akkumulation und Ausdehnung zu benutzen. Ein gutes Beispiel ist die Entstehung der so genannten keynesianischen/fordistischen Phase des Kapitalismus. Der hohe Organisationsgrad der industriellen ArbeiterInnenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur in der russischen Revolution, sondern darüber hinaus in hart geführten Kämpfen auf der ganzen Welt – erschien als eine Grenze der Ausdehnung des Kapitalismus und drohte, eine Akkumulationskrise auszulösen und das System zu zerstören. Der Wohlfahrtsstaat war die direkte Folge dieser Kämpfe, aber er war auch ein Weg, diese Bedrohung zu neutralisieren. Das größte Kunststück des Kapitals war es, mit den ArbeiterInnen einen Produktivitätskompromiss abzuschließen, wodurch aus einer Grenze der Motor einer neuen Phase kapitalistischen Wachstums wurde.

Was können wir hieraus über die wahrscheinlichen Reaktionen auf den Klimawandel lernen? Der Klimawandel ist ohne Zweifel eine Grenze, die für das Kapital ebenso viele Möglichkeiten wie Gefahren birgt. Viele versuchen jetzt, diese Grenze, diese potenzielle Krise in einen neuen Akkumulationsmotor zu verwandeln. Ein Beispiel dafür ist das Aufhebens, dass um den neuen Markt für Kohlenstoffemissionsrechte gemacht wird: Kohlenstoffsenken, Emissionszertifikate, Emissionsguthaben, Emissionsderivate, usw. Außerdem gibt es noch den ‚ökologischen Konsum’: Ökoautos, Solarbatterien, ökologischer Hausumbau. Könnte der Klimawandel der globalen Ökonomie einen neuen Anstoß, eine neue Dynamik geben? Steht uns eine neue ‚grüne’ Phase des Kapitalismus bevor, in welcher die Atmosphäre die Rolle spielt, die der ‚Cyberspace’ in den 90er Jahren innehatte? Möglich ist’s. Und es ist offensichtlich, dass Kohlenstoffemissionen dabei kaum radikal reduziert würden!

Eine kapitalistische Lösung wird natürlich nichts anderes tun, als den Kapitalismus zu reproduzieren. Die Effekte des Klimawandels sind ungleich verteilt und sehr viel schlimmer für die Armen, wie zum Beispiel Hurrikan Katrina in New Orleans oder der Tsunami in Aceh zeigten. Und die bisher gehandelten ‚Lösungen’ werden bestehende Hierarchien nur verfestigen. Die meisten ‚Ökosteuern’ führen zu höheren Preisen für Güter und Dienstleistungen und begrenzen dadurch Mobilität oder den Zugang zu Nahrungsmitteln und Heizung. Dass Reisen, Essen und Komfort abhängig sind von der persönlichen finanziellen Lage, ist natürlich nicht neu, sondern folgt den altbekannten Spielregeln. Aber jetzt werden diese Regeln damit begründet, dass sie zur Rettung der Erde notwendig seien. Der ‚grüne Kapitalismus’ wird also voraussichtlich ein neues Spar- und Disziplinarregime sein, das im Namen des ‚Gemeinwohls’ den Armen mehr abverlangt als den Reichen.

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